Kapitel 1:
Wie alles anfing – Bayreuth

Durch die Verlegung der markgräflichen Residenz 1603 von Kulmbach nach Bayreuth durch den Markgrafen Christian von Brandenburg (1603 - 1655) vollzogen sich in Bayreuth in den Folgejahren deutliche bauliche Veränderungen. Es entstanden u.a. das Alte Schloss, die Lateinschule, das Gebäude der Mohrenapotheke. Aber erst während der Regierungszeit von Markgraf Friedrich III. (1711 – 1763; reg. 1735 - 1763) und seiner Gemahlin Wilhelmine (1709 - 1758), der Schwester von König Friedrich II. von Preußen (reg. 1740 - 1786), erlebte Bayreuth kultur- und bauhistorisch die höchste Blüte.

Nicht nur das seit 2012 als Weltkulturerbe geadelte Markgräfliche Opernhaus, das bedeutendste, prächtigste und am besten erhaltene barocke Opernhaus Europas – erbaut 1744 -1748 anlässlich der Vermählung der Tochter des Markgrafenpaares Elisabeth Friederike Sophie mit Herzog Karl Eugen zu Württemberg –, prägt in seiner Strahlkraft bis heute die Stadt Bayreuth, sondern auch die Prachtbauten der Innenstadt, geschaffen von den nach Bayreuth geholten Hofbaumeistern und Hofarchitekten. Ein besonderes Gestaltungselement etlicher dieser repräsentativen, mehrstöckigen Gebäude – erbaut zwischen 1750 und 1763 – waren Fensterschürzen unterschiedlicher Güte und Ausgestaltung.

Opernhaus

Markgräfliches Opernhaus in Bayreuth - seit 2012 UNESCO Weltkulturerbe

Zunächst werden manche Fassaden nur mit einfachen, glatten, ungeschmückten, eckigen oder gebogten Fensterschürzen versehen, z.B. in der Ludwigstraße 28 oder in der Friedrichstraße 21.

Ludwigstr. 28

Ludwigstr. 28

Friedrichstr. 21

Friedrichstr. 21

Die zwar glatten, paspellierten und abgerundeten Schürzen der Belle Etage des Schwabacherhauses, Friedrichstraße 3-5, enden seitlich unten mit zweimal dreieckigen Tropfen. Flankiert werden sie links und rechts von bewegten, floral dekorierten Bändern, die mit Blattgeranke enden. Der Schriftsteller Jean Paul lebte 12 Jahre bis zu seinem Tod in diesem Haus.

Friedrichstraße 3-5

Friedrichstraße 3-5

Die Fensterschürzen in der Schulstraße 5 und in der Richard-Wagner-Straße 77 unterscheiden sich eigentlich nur durch die angehängten Quasten, Blattwedel oder kleinen, Rocailles ähnlichen Verzierungen am unteren Ende der gerundeten, seitlichen Tuchzipfel.

Schulstraße 5 | oben: Gesamtansicht, unten: Detail

Richard-Wagner-Str. 44 | oben: Gesamtansicht, unten: Detail

Üppig gestaltet, aber alle in gleicher Ausführung, schmückten Fensterschürzen die Fassade des Layritz-Palais (erbaut 1753/54). Bis zur Bombardierung (des heutigen Luitpoldplatzes) am 14.04.1945 und dem späteren Abriss, war es das schönste barocke Stadthaus mit Fensterschürzen. Die Planungen gehen wohl auf Rudolf Heinrich Richter zurück. Möglicherweise kann ihm auch die Planung des Schwabacherhauses in der Friedrichstraße 3 -5 zugeschrieben werden.

Layritz-Palais (Luitpoldplatz) | Historisches Foto

Ein prächtiges Palais am Schlossberglein 3 ließ der Hofarchitekt und Hofbaumeister Carl Philipp Christian von Gontard (1731 - 1791) zwischen 1759 und 1761 für sich selbst im barocken Klassizismus errichten. Aufwändig und üppig gestaltete Blumengirlanden schmücken unterhalb der Fensterbank etliche Brüstungsfelder. Gleichsam als Fensterschürzen verzieren sie die dem Luitpoldplatz zugewandte Fassade des stattlichen Hauses. Auch die Brüstungsfelder der Belle Etage des Ellrodtschen Palais in der Ludwigstraße 26 ließ Gontard 1760 mit sich ähnelnden Blumengirlanden verzieren, die jedoch – da offensichtlich aus Stuck – nicht als Fensterschürzen zu bezeichnen sind. Bestenfalls dienten sie als Anregung.

Im Gegensatz zu den individuell gestalteten Fensterschürzen, die später an Bauernhäusern aus Sandstein in den Gebieten um Weidenberg, in und um Bindlach und im Hummelgau entstehen, gleicht an der jeweiligen Fassade der Stadthäuser eine Fensterschürze der anderen!

Fassade des Palais am Schlossberglein 3 (erbaut 1759 - 1761)

Fassade des Palais am Schlossberglein 3 (erbaut 1759 - 1761)

Fensterschürze am Palais Schlossberglein 3

Fensterschürze am Palais Schlossberglein 3

Brüstungsfeld mit Blumengirlande an der Belle Etage des Ellrodt'schen Palais in der Ludwigstraße 26

Brüstungsfeld mit Blumengirlande an der Belle Etage des Ellrodt'schen Palais in der Ludwigstraße 26

Kapitel 2:
Die Fensterschürze kommt nach Weidenberg

Nach einem verheerenden Brand 1770 in Weidenberg, dem der gesamte Obermarkt mit seinen vermutlichen Fachwerkhäusern zum Opfer fällt, wird dieser auf Anordnung von Markgraf Carl Alexander gänzlich aus Steinhäusern wieder aufgebaut. Den Wiederaufbau leitet das fürstliche Bauamt Bayreuth. So entsteht ein Ensemble an Amts- und Bürgerhäusern, das den städtebaulichen Grundsätzen des Barocks mit geschlossenem Straßenzug und durchgängiger Linienornamentik an den Fassaden entspricht und heute teilweise an die 1731 entstandene Ludwigstraße in Bayreuth erinnert. In Bayreuth nur vereinzelt als Schmuckelement eingesetzt, werden die Fassaden der neuen Bauten in Weidenberg zwischen 1770 und 1776 vielfach mit Fensterschürzen verziert.

Die in Weidenberg zwischen 1770 und 1776 entstandenen Fensterschürzen zeigen eine Palette von sehr streng geradlinigen, über dezent geschwungenen und ungeschmückten Formen zu Schürzen mit betont herausgearbeiteter Plastizität. Die Weidenberger Fensterschürzen sind damit in ihren Grundformen gegenüber den Bayreuther Vorbildern nur wenig abgewandelt und betonen wie diese textile Elemente. Neu sind allerdings der klassischen Architektur entliehene Elemente: Triglyphen und Diglyphen (mit Tropfen). Alle Schürzenfelder bleiben jedoch ohne Ornamentik.

Diese frühen Fensterschürzen von 1776 entsprechen den Bayreuther Vorbildern (Weidenberg, Obere Marktstraße).

Diese frühen Fensterschürzen von 1776 entsprechen den Bayreuther Vorbildern (Weidenberg, Obere Marktstraße).

Ebenfalls einfach gehaltene Fensterschürzen (1776), ohne seitliche Tri- oder Diglyphen. Die Fensterschürze zeigt jedoch bereits eine ausgeprägte Plastizität, u.a. durch die Vertiefung des inneren Schürzenfeldes und filigraner herausgearbeitete Quasten (Weidenberg, Oberer Markt).

Ebenfalls einfach gehaltene Fensterschürzen (1776), ohne seitliche Tri- oder Diglyphen. Die Fensterschürze zeigt jedoch bereits eine ausgeprägte Plastizität, u.a. durch die Vertiefung des inneren Schürzenfeldes und filigraner herausgearbeitete Quasten (Weidenberg, Oberer Markt).

Stärkere Betonung der Plastizität der Fensterschürzen in Form zweier Ebenen. Als weiteres Dekorelement kommen die seitlichen Diglyphen mit Tropfen hinzu (Weidenberg, Oberer Markt).

Stärkere Betonung der Plastizität der Fensterschürzen in Form zweier Ebenen. Als weiteres Dekorelement kommen die seitlichen Diglyphen mit Tropfen hinzu (Weidenberg, Oberer Markt).

Kapitel 3:
Von Weidenberg ins Umland

Die Fassaden der Weidenberger Bürgerhäuser und Amtsgebäude werden Vorbilder für Bauernhäuser im Bayreuth-Kulmbacher Umland, allerdings erst rund 25 Jahre später, v.a. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die ältesten nachweisbaren Bauernhäuser mit Fensterschürzen entstehen 1797 und 1798 in Kottersreuth, gefolgt von einem Bauernhaus in Lessau 1799. Dass sich die ältesten Fensterschürzen außerhalb von Weidenberg in Kottersreuth finden lassen, hängt wohl damit zusammen, dass die dortigen Schürzenhäuser der Steinmetzfamilie Kreutzer zuzuordnen sind. Sie wurden von (?)Johann Kreutzer erbaut, der vermutlich auch an den Fensterschürzen in Weidenberg mitgewirkt hatte. In seine Fußstapfen trat Heinrich Kreutzer, vermutlich sein Sohn, der später Fensterschürzen in Neudorf schuf und auch sein eigenes Haus in Kottersdorf mit Schürzen verzierte (1842).

Kottersreuth 4

Kottersreuth 4

Lessau (1799)

Lessau (1799)

Kottersreuth 2 (1797)

Kottersreuth 2 (1797)

Kottersreuth 1 (1798)

Kottersreuth 1 (1798)

In den Folgejahren entwickelt sich eine ausgesprochen große Vielfalt an Motiven auf den Brüstungsfeldern. Vielfach wird vermutet, das Ende der regen Bautätigkeit des Bayreuther Hofes mit dem Tod des Markgrafen Friedrich Christian und die Verlegung des Regierungssitzes nach Ansbach 1769 durch Markgraf Carl Alexander hätten viele Steinmetze in Bayreuth arbeitslos gemacht und damit die Entwicklung der Fensterschürzen im Bayreuther Umland angestoßen. Ob diese zum Teil an den Fensterschürzen in Weidenberg mitgewirkt haben, kann nur gemutmaßt werden. Da die meisten Fensterschürzen im Umland allerdings erst nach 1810 entstehen, kann deren weite Verbreitung nicht direkt mit den markgräflichen Steinmetzen in Verbindung gebracht werden. Die Gründe für die sich gerade nach 1810 zeigende weitere Verbreitung der Fensterschürzen müssen zukünftig näher erforscht werden. Zu den Beschleunigern gehören jedoch die innerörtlichen großen Brände. So lässt sich sowohl für Weidenberg (1770), Bindlach (1823) als auch für Mistelgau (1836) zeigen, dass beim jeweiligen Wiederaufbau Sandsteinhäuser mit Fensterschürzen entstanden.

Bindlach, Raiffeisenstraße (1823)

Bindlach, Raiffeisenstraße (1823)

Mistelgau, Bahnhofstraße 21 (1836)

Mistelgau, Bahnhofstraße 21 (1836)

Kapitel 4:
Die Fensterschürzen gehen eigene Wege

Die letzten „klassischen“ Fensterschürzen entstehen in der frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die „Spätwerke“ verwenden z.T. noch Formen der früheren Fensterschürzen, kreieren oft aber auch eigene Elemente oder einen ganz eigenen Aufbau. Die Fensterschürzen verlassen auch die reinen Sandsteinhäuser und werden in Gebäude integriert, deren Fassaden ganz oder im Obergeschoss verputzt sind. Zur gleichen Zeit beginnt auch der Hausbau mit Backsteinen, nicht selten aufgemauert auf Sandsteinen. Auch hier lassen sich Fensterschürzen finden. Um die Jahrhundertwende ist eine Vereinfachung der Fensterschürzen in der Ausführung und in den Motiven zu beobachten. Auch gegossene Fensterschürzen gibt es.

Kottersreuth 11 (1913)

Kottersreuth 11 (1913)

Hallermühle in Lehen, Aufstockung bezeichnet 1909

Hesslach

Hesslach

Kapitel 5:
Bewusstsein für die Kultur der Fensterschürzen

Auch wenn die „große Zeit“ der Fensterschürzen mit ihren Wurzeln in der Markgrafenzeit mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Ende geht, zeigen die Fensterschürzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts doch eine Besinnung auf dieses kulturelle Erbe der Region. In einigen Fällen werden die alten Fensterschürzen sogar in aufgestockte oder sanierte Gebäudefassaden wieder eingesetzt.

Trotzdem droht das Bewusstsein für das Kulturerbe Fensterschürze verloren zu gehen, da etliche der alten Sandsteinhäuser und die Fensterschürzen teilweise dem „Zahn der Zeit“ und den Umweltbedingungen nicht mehr standhalten können. Sanierungen sind heute aufgrund der hohen Kosten schwer zu finanzieren. So sind in den letzten Jahrzehnten bereits einige der Fensterschürzenhäuser und Fensterschürzen verschwunden.

Euben

Euben