Was ist eigentlich eine Fensterschürze?*
Die Visitenkarte eines Hauses ist seine Fassade. Zu ihrer ansehnlichen Gestaltung gehört die harmonische Verteilung der Öffnungen, d.h. der Eingangstür(en) und der Fenster. Um der Fassade mehr Ausdruck zu geben, wurde sie in früheren Zeiten vielfältig durch Zierelemente veredelt. Dazu gehören z.B. profilierte Gurtgesimse oder die Verkleidung des Spitzgiebeldreiecks durch Schiefer (oft mit Bemalung in Form der Stannioltechnik).
*) Die hier gemachten Aufführungen beziehen sich v.a. auf die Publikation Angerer, F. & Zühlke, R. (1995): Phänomen Fensterschürzen - Schmuckformen an Bauernhäusern im Landkreis Bayreuth. – Schriftenreihe Landkreis Bayreuth, Bd. 9: 179 S.; Bayreuth (Ellwanger).
Die Fenster wurden oft durch breite Umrahmungen betont. Ist diese hervortretend (oft profiliert) oder vertieft eingearbeitet, wird diese als Fensterfasche bezeichnet.
Bild: Fenster und Fensterfasche.
Unterhalb der Fensterbank (auch Sohlbank genannt) liegt das Brüstungsfeld. Dieses ist meist bis zu einem Quadratmeter groß und besteht aus einem Sandsteinblock, aus dem die Ornamentikelemente herausgearbeitet sind. Oft wird das gesamte Brüstungsfeld als Fensterschürze (i.w.S.) betrachtet. Tatsächlich ist die Fensterschürze (i.e.S.) jedoch das zentrale textile Element auf dem Brüstungsfeld, das an eine „umgebundene Schürze“ erinnert und „obenauf liegt“. Es kann sich dabei um erhaben gearbeitete „Tuchlagen“ in verschiedenen „Zuschnitten“ und unterschiedlicher Ornamentik handeln. Den textilen Charakter der Fensterschürze betont oft eine angehängte Quaste.
Bild: Fensterschürze in Weidenberg ohne Ornamentik im Schürzenfeld, aber mit bereits herausgearbeiteter Plastizität. Seitlich abgewandelte Diglyphen mit angehängten Tropfen.
Die frühen Fensterschürzen-Felder waren ohne Ornamentik, meist auch nur einlagig. Später werden die Schürzenfelder mit ausgeprägten Motiven oder Segenssprüchen gestaltet. Das Bild zeigt ein Beispiel aus Mistelgau.
Bild: Brüstungsfeld mit Triglyphen, Fensterschürze (mit Motiv) und nach unten abschließendem floralem Element in Mistelgau, Bahnhofstr. 8.
Was ist der Ursprung der Fensterschürzen?
Der Hintergrund für das textile Schmuckelement unterhalb der Fensterbank ist nicht zweifelsfrei geklärt. Möglicherweise haben die oft aus Italien oder Frankreich stammenden, katholischen Baumeister wie Joseph Saint Pierre die Idee der aus den Fenstern gehängten Prozessionstücher nach Bayreuth gebracht und umgesetzt. Mehr lokaleren Ursprungs ist die Auffassung, dass die Fensterschürzen die gestickten „Kerwaschürzen“ der Kerwaburschen imitieren.
Erstmals werden Fensterschürzen in Weidenberg von Diglyphen und abgewandelten Triglyphen eingerahmt. Triglyphen sind ein Schmuckelement dorischer Tempel. Aus der altgriechischen Bezeichnung τρίγλυφος (= drei Rillen) geht hervor, dass damit nicht die im Bild erkennbaren drei „Stäbe“ gemeint sind, sondern die Vertiefungen. Eine Triglyphe besteht daher aus zwei vollen inneren und zwei halben äußeren Rillen, eine Diglyphe demnach aus zwei vollen inneren Rillen.
Das Bild zeigt eine Diglyphe an einem Haus in Weidenberg.
Bild: Triglyphen mit Tropfenleiste an der evangelischen Kirche St. Bartholomäus in Bindlach.
Im Gegensatz zur Diglyphe sind links und rechts noch Halbrillen zu erkennen.
Triglyphe (rot umrahmt) über einer dorischen Säule. Der Zwischenraum zwischen zwei Tri- oder Diglyphen wird als Metope bezeichnet.
Bildquelle: wikipedia.org unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 – Stichwort Triglyphe (dt. Version)
Triglyphen und Metopen auf einem Relief aus einem Tempel in Selinunte (Sizilien), heute im Archäologischen Museum in Palermo. Die Fensterschürze würde einer Metope entsprechen.
Ausschnitt aus dem Originalbild. Bildquelle: wikipedia.de/metope unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 – Stichwort metope (engl. Version).
Entwicklung der Fensterschürzen zwischen 1790 bis 1799
In Weidenberg und Umgebung lässt sich die Entwicklung der Ornamentik der Fensterschürzen gut studieren. Selbst innerorts in Weidenberg gleicht kein Fensterschürzenhaus mit seinem Fensterschmuck dem anderen. Die im Bild angeführten Beispiele zeigen eine Palette von sehr streng geradlinigen, über dezent geschwungene und wenig reliefierte Formen zu Schürzen mit betont herausgearbeiteter Plastizität.
Entwicklung der Fensterschürzen 1770 bis 1776 in Weidenberg (a-e; 1770-1779) und Lessau (f; 1799).
a, einfache „Schürze“ ohne textile Gestaltung;
b, einlagige Schürze mit geschwungenem Verlauf und Quasten;
c, reliefiertes Schürzenfeld;
d, Diglyphen mit schlichtem Schürzenfeld;
e, zweilagiges Schürzenfeld umrahmt von Diglyphen;
f, mehrlagiges Schürzenfeld mit seitlichen Bändern.
Erste Hälfte des 19. Jahrhunderts – Floristische Elemente erobern die Fensterschürzen
1826 taucht erstmals an einem Haus in Neunkirchen am Main ein Blumenmotiv auf dem Schürzenfeld auf. Diese Gestaltung läutet eine neu Ära der Ornamentik der Fensterschürzen ein. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Schürzenfelder selbst ohne Ornamente geblieben.
Bild: Fensterschürze in Neunkirchen a. Main. Erstmals taucht hier ein floristisches Motiv auf dem Schürzenfeld auf. Dargestellt ist eine üppige Pflanze mit tulpenartigen Blüten. Die seitlichen Triglyphen werden ebenfalls durch ein Blumenmotiv ersetzt.
Glotzdorf
An einem 1829 in Glotzdorf entstandenen Fensterschürzenhaus ist eine Weiterentwicklung zu sehen. Trotzdem ähnelt die Fensterschürze dem Haus in Neunkirchen a. Main. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich um denselben Steinmetz handelt. Wieder bildet eine üppige Pflanze mit tulpenartigen Blüten das zentrale Blumenmotiv auf dem Schürzenfeld. Durch die gespitzte Bearbeitung des Schürzenfeldes kommt das Blumenmotiv besonders zur Geltung. Auch der Rand des Tuches wird durch die gespitzte Verarbeitung des Schürzenfeldes betont.
Bild: Mit Blumenmotiv versehenes Schürzenfeld an dem 1829 entstandenen Haus in Glotzdorf.
Euben
1834 entsteht in Euben ein Wohnhaus, das selbst nicht mehr besteht. Allerdings ist die Fassade mit den Fensterschürzen als alleinstehende Wand noch erhalten (Stand Herbst 2023). Teils kehren die Fensterschürzen dieser Fassade zu klassischen Formen zurück oder erinnern an die vorher beschriebenen Fenster mit den floristischen Elementen unterhalb des Schürzenfeldes. Neu sind Ranken- und ein zentrales Bilddekor auf dem Schürzenfeld und die den Spitzen des Bogenfrieses angehängten Quasten.
Bilder:
oben | Linke Fensterschürze an dem inzwischen abgerissenen Haus in Euben. Segmentbogenförmige Fensterschürze zwischen Triglyphen (mit vier Tropfen); eine zweite Lage mit Bogenfriesdekor und angehängten Quasten. Im unteren Brüstungsfeld eine zart gestaltete Ranke.
unten | Mittlere Schürze (Euben) mit ähnlichem Aufbau wie am linken Fenster, jedoch dreilagiges Schürzenfeld. Die oberste Schürze zeigt erstmals selbst ein Ranken- und ein Bilddekor. Die Konsolen links und rechts des Schürzenfeldes zeigen Blumenstöcke.
Bindlach
Der in Euben erstmals erkennbare Stil findet in den weiteren Jahren große Verbreitung im Raum Bindlach.
Bild: Fensterschürzen in Bindlach (Rathausplatz) von 1823 mit ähnlicher Ornamentik wie Euben. An die Stelle der Quasten treten Glöckchen. Als Besonderheit sind auch die Schlusssteine mit einem Blumendekor versehen. 1835 wurde das Haus erweitert.
Weiterentwicklung in Mistelgau (1836-1844)
Innerhalb weniger Jahre entstehen nach dem Dorfbrand 1835 in Mistelgau fünf Sandsteinhäuser mit Fensterschürzen, die dem Stil der Schürzen in Euben folgen. Das erste Haus (Bahnhofstr. 21) wird 1836 errichtet (Bild, oben). Beim zweiten Haus (1837; Bahnhofstr. 5) taucht erstmals eine Weinranke auf (Bild, unten).
Bilder:
oben | Mistelgau, Bahnhofstr. 21: Fensterschürzen, die dem Stil nach den Schürzen in Euben entsprechen.
unten | Mistelgau, Bahnhofstr. 5: Weinranken unterhalb des Schürzenfeldes.
Mistelgau Bahnhofstr.
Als Besonderheit zeigt die Giebelschürze als Bildmotiv mehrere Musikinstrumente.
Bild: Mistelgau, Bahnhofstr. 5: Musikinstrumente in der Fensterschürze im Spitzgiebel.